Italien: Cassa Veneta dei Prestiti

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Österreichische Besetzung Venetiens - Cassa Veneta dei Prestiti 1918

Im Oktober 1917 griff die österreichisch-ungarisch-deutsche Armee die italienischen Stellungen am Frontabschnitt Flitsch und Tolmein an, wo deren 1. und 2. Armee postiert war (mit dabei war auch Erwin Rommel, damals noch Oberleutnant). Die Truppen überrumpelten die italienische Verteidigung und bedrohten in der Folge die 3. italienische Armee. Die völlig in Auflösung begriffenen italienischen Truppen hörten nicht mehr auf die Befehle ihrer Kommandeure und flohen in Richtung des Piave. Dieses Debakel fand bei Caporetto (Karfreit) am 24.10.1917 statt. Es war für Italien das Schlüsselereignis im 1. Weltkrieg. Aufgrund der Niederlage Italiens wurden Friaul und Venetien bis zu einer Linie zwischen den Flüssen Piave und Grappa von österreichisch-deutschen Truppen besetzt.
Am 13. und 14. Dezember 1917 trafen sich hohe Militärs und Verwaltungsbeamte der feindlichen Mächte in Wien zum Zwecke der Schaffung eines Zahlungsmittels für die besetzten italienischen Gebiete.
Durch Dekrete vom 3. März und 28. April 1918 wurde die Cassa Veneta dei Prestiti (Darlehenskasse Venetiens) geschaffen. Der Name ist irreführend, denn diese Kasse hat niemals Darlehen vergeben. Ihre Funktion war einzig und allein der Umtausch der Währung, und ihre Geldscheine dienten zur Bezahlung von Militärausgaben.
Verwaltungstechnisch war sie ein Konsortium Östereich-Ungarns und Deutschlands. Man sah in ihr ein Instrument, das in der Folge geeignet für die Ausplünderung weiterer zu erobernder Gebiete in Venetien und der Lombardei sein sollte - also ähnlich den Reparti di Requisizione (Konfiszierungsabteilungen) in bereits zuvor eroberten Provinzen.
Am 20. Mai 1918, also kurz vor der für den Juni vorgesehenen Großoffensive, begann die Cassa Veneta dei Prestiti in Udine im ehemaligen Gebäude der Banca d'Italia ihre Tätigkeit.
Zuerst wurden Banknoten im Wert von 5 Centesimi bis 100 Lire ausgegeben.

Lex Italien, P-M5, 2 Lire, 1918, Vs.jpg

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Kurz darauf wurde noch ein 1.000-Lire-Schein in Umlauf gebracht.
Der Wechselkurs betrug 100 Lire für 95 österreichisch-ungarische Kronen.

Lex Italien, P-M5, 2 Lire, 1918, Rs.jpg

Der Strafsatz auf der Rückseite ist ungewöhnlich gross abgebildet, sehr genau formuliert und lässt keine Frage offen: Die Hersteller von falschen Kassenscheinen werden bestraft, ebenso jeder, der sie verwendet und jeder, der sie sich als echte hat andrehen lassen und daraufhin zur Zahlung verwendet, wenn er Kenntnis bekommen hat, dass die Note falsch ist.
Eine Bekanntmachung vom 26. Mai 1918 teilte mit, daß vom 1. Juni an die Kronen-Scheine der Oesterreichisch-ungarischen Bank in den besetzten Gebieten keine Gültigkeit mehr hätten. Wer immer Kronen besäße, habe diese in venezianische Lire einzutauschen.
Auf diese Weise konnte die Besatzungsmacht das Umlaufvolumen ihrer eigenen Währung im besetzten Gebiet minimieren und die Inflation derselben im Zaum halten.
Natürlich stand hinter der venezianischen Lira nicht viel mehr als die Aussicht auf einen möglichen Sieg.
Zusätzlich wurden ab dem 20. Mai 1918 alle Soldzahlungen und Ausgaben des Militärs mit Scheinen der Cassa Veneta bestritten - natürlich mit der klaren Absicht, die besetzten italienischen Gebiete so gründlich wie möglich auszuplündern.
Diese Absicht kommt auch ganz klar in einem Rundschreiben zutage, das an alle Militärkommandos versandt wurde und den Titel Anweisung für erste Maßnahmen zur Ausbeutung der besetzten Gebiete trägt.
In der Tat hat die Cassa Veneta in ihrer fünfmonatigen Geschäftstätigkeit, also vom 20. Mai bis zum 28. Oktober 1918, die Industrie Venetiens durch die systematische Absorption der flüssigen Mittel so gut wie restlos ausgeraubt.
Der erwarteten Juni-Offensive zur weiteren Eroberung von Gebieten stand aber eine starke italienische Armee gegenüber, die in der Folge sogar zum Gegenangriff überging.
Am 24. Oktober 1918 überschritten italienische Truppen den Piave, befreiten am 30. Oktober Vittorio Veneto, marschierten am 3. November in Trient und Triest ein, was den Feind letztendlich dazu zwang, den Waffenstillstand voin Villafranca zu unterzeichnen.
Nach Ende dieses Krieges erwiesen sich die Scheine der Cassa Veneta erwartungsgemäß als uneinlösbar - allein schon aus dem Grunde, da die Cassa Veneta von einem Tag auf den andern von der Bildfläche verschwunden war. Die italienischen Bürger, die zur Annahme dieser Scheine verpflichtet gewesen waren, fragten sich nun, wie und wann sie wohl entschädigt werden würden. Bevor sie zur Einlösung schritt, versuchte die italienische Regierung zuerst einmal festzustellen, wie groß denn die Umlaufmenge dieser Banknoten überhaupt war. Das war allein schon deshalb notwendig, um von den besiegten Mächten eine entsprechende Entschädigung anzufordern. Ende 1918 wurde ein Untersuchungsausschuß gegründet, der trotz sorgfältiger umfangreicher Recherchen jedoch erklären mußte, daß die Umlaufmenge unmöglich feststellbar ist - einerseits wegen Fehlens jeglicher Dokumentation (nach dem 28. Oktober wurden alle Unterlagen angesichts der drohenden Niederlage vorsorglich von Udine nach Wien gebracht), anderseits hatte man in Italien keinen Zugang zu Produktions- oder Ausgabezahlen.
Ein Inspektor des Schatzamtes, der versucht hatte, über die jeweils höchsten Kontrollnummern Rückschlüse auf die ausgegebene Menge zu ziehen, berichtete, daß er mit dieser Methode auf etwa 30 bis 40 Milliarden (!) Lire käme. Diese Zahl war so unrealistisch hoch, daß der Inspektror selber zugab, daß sie niemals stimmen könne.
Er vermutete, daß die Numerierung wohl absichtlich verworren gestaltet wurde, um eine spätere Ermittlung der Umlaufmenge unmöglich zu machen.
Der Untersuchungsausschuß kam zu der Überzeugung, daß es die Absicht des Feindes gewesen sei, im Falle eines Sieges eine viel höhere Summe als die tatsächlich in Umlauf gesetzte anzugeben. Das hätte es ihm bei Friedensverhandlungen ermöglicht, eine höhere Entschädigung von Italien zu fordern. Der Angriff gegen Italien hatte sich aber als Rohrkrepierer erwiesen.
Der Ausschuß schlug vor, die Nummernkreise zu ignorieren und kam auf eine ungefähre Summe von 500 Millionen Lire, wobei sich natürlich ein beträchtlicher Teil der Noten mit den sich auf dem Rückzug nach Österreich befindlichen Truppen die Region Venetien bereits verlassen hatte.
Es bestand aber immer noch die Gefahr (und solche Gerüchte kursierten in derm Tat), daß sich jemand in den letzten Kriegstagen möglicherweise durch Diebstahl aus einem Lager in den Besitz einer großen Menge von Bankoten der [I]Cassa Veneta[/I] gebracht haben und sich dann bei einem Umtausch gesetzwidrig bereichern könnte. Aus diesem Grunde wurde ein Höchstumtauschsatz pro Familienoberhaupt festgelegt.
Durch Dekret vom 27. Februar 1919 wurde verfügt, daß sich vom 13. bis 17. März 1919 jedes Familienoberhaupt zum ehemaligen Sitz der Casa Veneta an seinem Wohnort begeben könne, um maximal 1.000 venezianische gegen italienische Lire zum Kurs von 1 venezianische Lira = 40 italienische Centesimi einzuwechseln. Dafür gab es eine Quittung.
Aus Berichten der Banca d'Italia, die mit dieser Umtauschaktion beauftragt war, geht hervor, daß in den Provinzen Belluno, Udine, Treviso und Vicenza insgesamt 106.059.082,50 venezianische Lire eingereicht wurden, die mit 42.423.633 italienischen Lire vergütet wurden.
Da der Rücklauf der Cassa Veneta-Noten erheblich geringer als erwartet war, entschied die Banca d'Italia per Dekret vom 4. Januar 1920, auf die bei der ersten Umtauschaktion gegebenen Quittungen noch mit 20% zu vergüten.
Leider hatten in der Zwischenzeit viele Bürger diese Quittungen längst verloren oder weggeworfen. Eine zweite Entschädigung war ja ursprünglich nicht vorgesehen gewesen.
So betrug die in dieser Folgeaktion zwecks Vergütung eingereichte Summe lediglich 51.084.705 venezianischen Lire, was 10.216.941 italienischen Lire entsprach.
Somit kostete die Umtauschaktion die Banca d'Italia insgesamt 52.640.574 italienische Lire.
Alle Scheine der Cassa Veneta dei Prestiti sind bis auf den 1.000-Lire-Schein nicht selten. Der Tausender ist in gebrauchtem Zustand selten und sehr selten, wenn unzirkuliert.


Quelle:
Auszüge aus Guido Crapanzano, Soldi d'Italia - Un secolo di cartamoneta Fondazione Cassa di Risparmio di Parma, 1995